Von Klaus Wettig MdEP i.R.
Vor 100 Jahren zerfielen zwei große Monarchien im Zentrum Europas. Nachdem 1917 schon die zaristische Monarchie in einer Revolution untergegangen war, erschütterten 1918 revolutionäre Bewegungen das Habsburger Reich – die K.u.K.-Monarchie und das deutsche Kaiserreich, auch im osmanischen Reich zeichnete sich das Ende der Sultans-Herrschaft ab.
Die Regierungen der im Ersten Weltkrieg verbundenen Mittelmächte hatten ihren Völkern außerordentliche Opfer auferlegt, die zu allgemeiner Not, zu Hunger und zu bisher nicht gekannten Menschenverlusten geführt hatten. Nun reagierten die Völker in Verweigerung und Forderung nach Sturz der Monarchie.
Am schnellsten löste sich der Vielvölkerstaat der Habsburger auf. Die späten Reformversuche des Kaisers Karl I. scheiterten und sehr bald entstanden die neuen Staaten Tschechoslowakei, Polen und Jugoslawien. Ungarn erklärte sich unabhängig. Aus dem Rest bildete sich die Republik Österreich. Karl I. musste ins Exil gehen.
In Deutschland vollzog sich der Wandel in mehreren Schnitten. Auf Verlangen der Obersten Heeresleitung (Hindenburg und Ludendorff), die für die verfehlte Kriegsführung des Kaiserreiches verantwortlich waren, wurde die Reichsregierung um Sozialdemokraten und Liberale im Oktober erweitert, die politische Lage drängte auf eine Totalveränderung. Als Anfang November die Flotte zur letzten Schlacht auslaufen sollte, meuterten die Mannschaften und die Novemberrevolution begann in Wilhelmshaven und Kiel. Der Kaiser musste abdanken und das Haus Hohenzollern auf den Thronanspruch verzichten. Kurzzeitig wurde der Sozialdemokrat Friedrich Ebert Reichskanzler bis am 8. und 9. November überall im Reich die Republik ausgerufen wurde. Die Monarchien in den Königreichen, Großherzogtümern, Herzogtümern, Fürstentümern des Reiches verschwanden.
Noch am 9. November bildete sich der Rat der Volksbeauftragten aus sozialdemokratischen Politikern, der die Regierungsgewalt übernahm, in den Ländern, Städten und Gemeinden bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte, die den Weg in die Demokratie bereiteten.
Damit war der Krieg freilich noch nicht beendet. Erst am 11. November konnte ein Waffenstillstand abgeschlossen werden. Der Armistice ist in Belgien und Frankreich, auf deren Boden die Westfront des Ersten Weltkrieges getobt hatte, ein hoher Feiertag. Beide Nationen erlitten in diesem Krieg außerordentliche Verluste, ganze Landesteile waren im vierjährigen Krieg verwüstet worden.
Schon bald nach Kriegsende startete die Pflege der Erinnerungen, in jeder Familie, in jeder Gemeinde waren gefallene Männer zu betrauern. Vielfach geschah dieses schlicht mit einfachen Denkmälern, auf denen die Gefallenen genannt wurden, aber auch deutschnationales Pathos und Revanchismus gegenüber Frankreich waren zu lesen. Nur selten waren die Kriegerdenkmäler so ehrlich, dass sie die Zahl der Toten nannten. So berichtet das Denkmal des Infanterie-Regiments 91 in Göttingen gegenüber dem Max-Planck-Gymnasium von 3132 Gefallenen. Es war also zweimal in diesem mörderischen Krieg vernichtet worden, überwiegend Männer unter 30 Jahren.
Von diesem Denkmal unterscheiden sich jedoch andere: das ursprüngliche, inzwischen zerstörte 82er-Denkmal oder die Gedenktafel im Alten Rathaus, die einen deutschen Krieger darstellt, der den Erbfeind Frankreich zertritt, wegen der zahlreichen Veranstaltungen im Ratssaal jedoch meistens verhüllt ist. Die trauernde Mutter an der Fassade des Alten Rathauses oder das Denkmal für die gefallenen Studenten vor dem Auditorium wurden für ihre zurückhaltende Botschaft von einer nationalistischen, auf Revanche für den verlorenen Krieg als zu demütig, zu zurückhaltend kritisiert.
Der deutsche November ist ein Monat der Trauer und ein Monat der Hoffnung. Der Erste Weltkrieg konnte enden und die erste deutsche Republik begann, mit einem demokratischen Wahlrecht, dessen Kernstück das Frauenwahlrecht war. Und Jahrzehnte später fiel 1989 an diesem Tag die Mauer, der Weg zur deutschen Einheit öffnete sich.