Vor 75 Jahren: Die erste niedersächsische Landtagswahl in Göttingen am 20. April 1947

Adolf Grimme war 1947 erster Kandidat der SPD in Göttingen zum Niedersächsischen Landtag. Er wurde Kultusminister, später erster Direktor des NWDR, dem Rundfunk der britischen Zone. Bild: NDR

Die letzte Landtagswahl lag 14 Jahre zurück, als für den 20. April 1947 die Göttinger Bürger*innen mit 3,9 Mill. Niedersachs*innen aufgerufen wurden, einen Landtag für das von der britischen Besatzungsmacht neugebildete Land Niedersachsen zu wählen. Am 5. März 1933 war mit den Reichstagswahlen letztmals für das Preußische Abgeordnetenhaus gewählt worden, da die Provinz Hannover seit 1866 zu Preußen gehörte. Es waren die letzten halbwegs freien Wahlen gewesen, obwohl in Preußen der von der Hitler-Regierung eingesetzte Ministerpräsident Hermann Göring (NSDAP) den Wahlkampf der demokratischen Parteien behinderte. Der SA-Terror ließ auch in Göttingen keinen freien Wahlkampf zu. Die sozialdemokratische Presse war seit dem 28. Februar überall verboten. In Göttingen das Volksblatt.

Nachdem 1946 erstmals für die Räte und Kreistage gewählt werden konnte, sollte nun ein weiterer Schritt im demokratischen Neubeginn erfolgen. Die historische Stadt Göttingen – noch nicht erweitert um die Vororte – bildete einen Wahlkreis, der historische Landkreis Göttingen ebenfalls; landesweit wurde in 95 Wahlkreisen gewählt. Daneben sollte es 54 Abgeordnete über Landeslisten geben, die von den politischen Parteien aufgestellt wurden.

An Wahlkampf in heutiger Form war nicht zu denken. Das Papier war streng rationiert, sodass Broschüren, Flugblätter, Plakate kaum existierten. Rundfunkwerbung gab es nicht; das Fernsehen existierte nicht. In ländlichen Gebieten litt der Wahlkampf unter der eingeschränkten Mobilität: Nur wenige Kandidaten besaßen ein Auto, und das Benzin war rationiert.

Die wenigen Zeitungen halfen bei der Wählermobilisierung, es waren ausschließlich parteinahe Zeitungen, die erschienen; meistens zweimal wöchentlich. In Göttingen besaß die sozialdemokratische Hannoversche Presse, die später als Göttinger Presse erschien, einen großen Vorsprung. Es gab einen eigenen Lokalteil für Göttingen. Die anderen parteinahen Zeitungen erschienen nur mit einem kleinen Lokalteil: Hannoversche Neue Nachrichten (CDU), Abendpost (FDP), Deutsche Volkszeitung (DP), Hannoversche Volksstimme (KPD). Diese Zeitungen berichteten ausschließlich über die Kandidaten der eigenen Partei.

Im Wahlkreis Göttingen-Stadt aber gab es ein Elefantenrennen, da mit Hermann Föge für die FDP der erste Nachkriegsbürgermeister antrat, der von 1946 an den ernannten Landtagen für Hannover und Niedersachsen angehört hatte. Er war dort unbestritten der altliberale Anführer, denn schon vor 1933 gehörte er für die Deutsche Demokratische Partei (DDP) dem Provinziallandtag Hannover an.

Die SPD schickte mit Adolf Grimme den ersten Kultusminister Niedersachsens ins Rennen. Grimme war bis 1933 der letzte Kultusminister des demokratischen Preußens gewesen. Diese Kandidatur war ein Angebot an den universitätsgeprägten Wahlkreis, in dem die Arbeiterschaft nur schwach vertreten war.

Für die im Wahlkreis traditionslose CDU trat mit Arnold Fratzscher ihr niedersächsischer Generalsekretär ein. Die im Aufbau befindliche Partei konnte im protestantischen Göttingen nur auf eine schwache Tradition des katholischen Zentrums zurückgreifen, sodass sie sich von diesem prominenten Kandidaten Rückenwind versprach.

Als weitere Kandidaten bewarben sich: der Gewerkschaftssekretär Lutz Ellermeier für die KPD und Ulrich Birck, Besitzer einer Lebensmittelhandlung in der Theaterstraße 21, für die konservative Deutsche Rechtspartei DRP.

Die Landtagswahl fast ohne Wahlkampf bestätigte die SPD als führende Partei im neuen Niedersachsen, nicht jedoch im Wahlkreis Göttingen-Stadt, wo der Lokalmatador Hermann Föge mit 10.799 Stimmen deutlich vor Adolf Grimme lag, der 8.722 Stimmen schaffte. Abgeschlagen kam Arnold Fratzscher auf 5.280 Stimmen. Auf Birck entfielen bemerkenswerte 3.151 Stimmen. Lutz Ellermeier erreichte nur 1.545 Stimmen.

Die direkte Wahl verschaffte Hermann Föge den Vorsitz der 13köpfigen FDP-Fraktion, die nur zwei Direktwahlkreise in Niedersachsen gewinnen konnte. Bis 1955 hielt er diese Position. 1955 verlor er den Wahlkreis an den SPD-Kandidaten Peter von Oertzen. Da die FDP ihn nicht abgesichert hatte, verlor er damit auch sein Landtagsmandat.

Adolf Grimme zog über die SPD-Landesliste in den Landtag ein. Er blieb Abgeordneter und Kultusminister, bis er 1948 erster Generaldirektor des neuen Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) wurde, der in deutscher Regie ein Rundfunkprogramm für die Britische Besatzungszone bis 1955 gestaltete.

Arnold Fratzscher, der den ernannten Landtagen angehört hatte, war nicht auf der CDU-Landesliste abgesichert, erst 1951 kehrte er in den Landtag zurück, dem er bis 1970 angehörte.

Im benachbarten Wahlkreis Göttingen-Land war die Wahl von Ernst Fahlbusch (SPD) unumstritten. Fahlbusch hatte schon dem ernannten Landtagen angehört. 1947 gewann er den Wahlkreis erstmals direkt. Dem Landtag gehörte er bis 1963 an. Seinen Mitbewerbern gelang auch über die Landesliste kein Einzug in den Landtag.

Klaus Wettig