Die Delegiertenversammlung des SPD Stadtverbands hat am 18.1.2018 mit einer Gegenstimme folgenden Antrag des SPD-Stadtverbandsvorstandes und des JUSO-Stadtverbands beschlossen:
Das Ergebnis der Sondierungsgespräche ist keine Grundlage für Verhandlungen zur Bildung einer großen Koalition von CDU/CSU und SPD.
Die Göttinger SPD ist überzeugt, dass nach dem Scheitern der Jamaika Parteien die Bildung einer Minderheits- oder Kooperationsregierung die allein richtige Antwort auf das Wählervotum ist.
Begründung:
Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche zwischen CDU/CSU und SPD können keine Grundlage für Koalitionsgespräche sein. Die Inhalte des Sondierungspapiers stimmen einfach nicht mit unseren Inhalten und Werten überein. Bei aller Staatsräson: Das Papier stellt einen kompletten Selbstverrat der SPD, einen Verrat an ihren Mitgliedern und Wähler*innen dar.
Wir wollen auf einige zentrale Punkte, die nicht oder unzureichend in den Ergebnissen der Sondierungen festgehalten wurden, eingehen:
• Kein vollständiges Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit, die Sondierungsergebnisse gehen kaum über das hinaus, was bereits in der letzten Koalition vereinbart und nie umgesetzt wurde
• Gleichberechtigung im Öffentlichen Dienst erst ab 2025 und damit weit nach Ende der Legislaturperiode
• Nur 2 Milliarden für die Schulsanierung bei einem geschätzten Bedarf von 34 Milliarden
• Hochschulpakt zur Schaffung von Studienplätzen ab 2021 mit nur 0,6 Milliarden (hochgerechnet auf 5 Jahre nur 3 Milliarden)
• Trendwende beim BAföG erst im Jahr 2021
• Rentenkommission statt schneller und grundlegender Rentenreform
• Längere Arbeitszeiten im Alter als begrüßens- und förderungswürdig
• Keine grundlegende Gesundheitsreform, keine Schritte in Richtung der Bürger*innenversicherung
• Keine höheren Steuern auf hohe Einkommen, insbesondere auf Einkommen durch Kapitalerträge
• Kein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte im Zuge der Digitalisierung
• Faktische Festlegung einer Obergrenze für Integration von 220.000 Menschen
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• Begrenzung des Familiennachzugs auf 12.000 Menschen im Jahr (vergangenes Jahr: über 80.000)
• Reform der Mietpreisbremse aufgeschoben
• Kein Glyphosat-Verbot
• Keine Reform der Bundeswehr und somit keine Antwort auf Missstände in der Bundeswehr
Kein einziges sozialdemokratisches Großprojekt wurde in das Sondierungspapier integriert. Selbst der wichtige europapolitische Teil enttäuscht. Waren 2013 noch Mindestlohn und die Absenkung des Rentenalters sozialdemokratische Großprojekte, die den Menschen in diesem Land zu Gute kamen und uns im Wahlkampf ermöglichten, die Regierungsbeteiligung der SPD vor Wähler*innen zu rechtfertigen, fehlen Großprojekte dieser Art nun komplett.
Sollten wir nun auf dieser Grundlage für weitere vier Jahre in eine Große Koalition gehen, würden wir den Absturz der Sozialdemokratie in Deutschland nicht stoppen, sondern beschleunigen. Das in den letzten Jahren massiv gewordene Glaubwürdigkeitsproblem der SPD würde durch Aufnahme von Koalitionsgesprächen weiter vertieft werden. Dabei kann es nicht sein, aus vermeintlich staatspolitischer Verantwortung, zu jeden Konditionen in eine Koalition einzutreten. Tatsächlich werden wir unserer Verantwortung nur gerecht, indem wir uns Glaubwürdigkeit erkämpfen, zu unseren Werten und Versprechen stehen und als Oppositionsführerin eine Alternative zur Union aufzeigen. Das gelingt nicht in einer gemeinsamen Koalition unter Angela Merkel. Schon nach vergangenen Wahlen mussten wir feststellen, dass Verdienste der SPD anschließend Merkel als Erfolge angerechnet wurden. Sich nun wieder in vier Jahre „Weiter so“ zu stürzen, wie es das Sondierungsergebnis aufzeichnet, wäre nicht nur für unsere Partei fatal, sondern auch für die politische Zukunft dieses Landes. Nur eine wiedererstarkende SPD wird die Lebenssituation in diesem Land verbessern können. Dafür müssen wir weg von kleinen Anpassungen, hin zu einer sozialdemokratischen Gesamterzählung. Eine Gesamterzählung, die nicht von kleinen Instrumenten schwärmt, sondern den Menschen glaubhaft vermitteln kann, worin unsere Vision für eine freie und solidarische Gesellschaft besteht. Dafür brauchen wir wieder klare linke Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit. Wir brauchen ein Konzept für die Arbeitsmarktpolitik, abseits der restriktiven Hartz-Gesetze; für die Gesundheitspolitik, abseits der Zwei-Klassen-Medizin; für die Rentenpolitik angesichts des demographischen Wandels; für die Bildungspolitik, in der jedes Kind seinen Weg frei wählen kann und akademische und berufliche Bildung attraktiv und gleichwertig sind; eine Steuerpolitik, die sich auch traut höhere Einkommen gerecht zu besteuern; eine Politik, die Bürger*innenrechte stärkt und nicht den staatlichen Zugriff auf persönliche Daten erleichtert; eine Sicherheits- und Innenpolitik, die sich nicht an Bauchgefühlen ausrichtet, sondern effektive Prävention statt härterer Strafen vorsieht.
Die Ablehnung einer großen Koalition, deren Handlungsrahmen im Sondierungspapier gesetzt ist, ist vor dem Hintergrund und in Anerkennung des Wahlergebnisses keine Basis für eine gemeinsame Regierung der beiden großen Volksparteien in Deutschland.
Sie sind verantwortlich eine stabile Regierung zu bilden und die Stabilität der Demokratie zu sichern. Das verlangt eine Opposition, die Alternative ist. Wollen wir dies nicht der AfD überlassen, ist heute die Opposition die allein richtige staatspolitische Verantwortung der SPD. Dies schließt die Stützung einer Minderheits- oder Kooperationsregierung, dort wo es nötig ist, ein.