von Katherina Hartmann
Der 9. November ist für die deutsche Geschichte ein „Schicksalstag“, auf den viele gedenkwürdige politische Ereignisse fallen. An diesem Tag scheiterte unter anderem die Märzrevolution 1848, wie auch der 1923 geplante Putsch vom Parteiführer der damaligen NSDAP und General Erich Ludendorff (Hitler-Ludendorff-Putsch). Auch ist heute der mahnende Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. 1938 fand in der Nacht des 9. Novembers die von der nationalsozialistischen Ideologie systematisch betriebene antisemitische Diskriminierung und Verfolgung jüdischer Bürgerinnen und Bürger einen ihrer traurigen Höhepunkte. Damit sind jedoch nur ein paar der politischen Schicksalsschlaglichter an diesem Tag genannt.
In diesem Jahr ist der 9. November für Deutschland und seine Demokratie ein besonderes Jubiläum.
„Steh auf, Arthur, es ist Revolution!“ (Cläre Casper-Derfert in Gerwarth, Robert, Die größte aller Revolutionen, München 2018)
Heute jährt sich zum 100. Mal der Ausruf der ersten deutschen Republik während der November-Revolution 1918. An diesem Tag rief der damalige stellvertretende SPD-Vorsitzende Philipp Scheidemann, von einem Balkon des Berliner Reichstags, die erste deutsche Republik, die Weimarer Republik, aus. Wenige Tage später, am 11. November 1918, endete der Erste Weltkrieg. Am darauffolgenden Tag, 12. November 1918, stellte der neu entstandene Rat der Volksbeauftragten mit „An das deutsche Volk“ sein Regierungsprogramm vor. Die darin enthaltene Wahlrechtsreform gilt als Geburtsstunde des Frauenwahlrechts und der politischen Gleichberechtigung von Frau und Mann. Diese Errungenschaft ist ein Meilenstein der Frauenbewegung, dem ein langer Kampf vorausging.
Seit 100 Jahren dürfen Frauen wählen und gewählt werden. Dem Wortsinn nach ist Demokratie die Herrschaft des Volkes, womit das Wahlrecht als das demokratische Grundrecht schlechthin aufgefasst werden kann. Vor dem Hintergrund aktueller politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen weltweit, sowie den Debatten um die Grundwerte unserer Gesellschaft im Speziellen, beinhaltet dieses 100 jährige Jubiläum ein wichtiges Signal; eine Erinnerung, die es sich wieder zu vergegenwärtigen lohnt.
Daraufhin wurde am 30. November 1918 das aktive und passive Wahlrecht für alle Bürgerinnen und Bürger zur verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung verankert. Schließlich wurde in Artikel 109, Abs. 2 der Weimarer Verfassung der Satz „Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ aufgenommen. Ein Satz, der 1948 bei der Bildung des – in diesem Jahr 70 gewordenen – deutschen Grundgesetzes erneut hart erkämpft werden musste und für den die beiden SPD-Mitglieder Elisabeth Selbert und Friederike Nadig als zwei von vier Frauen (und 61 Männern) als „Mütter des Grundgesetzes“ in die deutsche Geschichte eingingen.
„Wir sind das Volk!“ (Parole der Montagsdemonstrationen) – „Meines Wissens ab sofort.“ (Günter Schabowski in der SED-Pressekonferenz am 9. November 1989, Stunden vor dem Fall der Mauer)
Der Ausruf der Republik vor 100 Jahren sollte in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden. An diesem Tag hörten die Menschen in Deutschland auf, Untertanen einer Monarchie zu sein und wurden zu Bürgerinnen und Bürgern, die ihre demokratischen Rechte sowie Mitbestimmung einforderten.
Dieses unerschütterliche Bestreben findet in der Forderung „Wir sind das Volk“ seine Fortsetzung. Am Abend des 9. Novembers 1989 gibt Günter Schabowski, Sekretär des ZK der SED für Informationswesen, auf einer internationalen Pressekonferenz der DDR in Ost-Berlin die neue Reiseregelung bekannt. Auf die Nachfrage eines anwesenden Journalisten, wann die Regelung in Kraft treten solle, antwortet Schabowski: „Ab sofort, unverzüglich!“.
Mit der Öffnung der DDR-Grenzen fiel heute vor 29 Jahren nicht nur die Berliner Mauer. Globalpolitisch gesprochen fiel damit ebenso der Eiserne Vorhang, was das Ende des Kalten Krieges markierte. Ein Moment, der in die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands in einem geeinten Europa mündete.
An dem heutigen Datum reflektiert sich die bewegende deutsche Geschichte wie an kaum einem anderen Tag. Dieser Tag erinnert uns daran, was unermüdlicher, friedlicher Protest und Diskurs zu erreichen vermag und dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist.